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So ticken die „Querdenker“ : Antiautoritär, gebildet – und überwiegend links

Die „Querdenker“ sind nicht einfach zuzuordnen. Doch aus dem rechten Lager kommt nur eine Minderheit, sagt Meinungsforscher Richard Hilmer. Ein Interview.

Von
  • Malte Lehming
  • Christoph von Marschall

Wer sind die Querdenker?
Ihre Anhänger haben offenbar eine überdurchschnittliche Bildung, viele verfügen über einen Doktortitel oder sind Wissenschaftler. Querdenker stammen eher aus dem linken Lager, sind politisch aktiv, gegenüber Staat und Medien ausgesprochen misstrauisch und tendieren eher zu natürlichen Heilmethoden statt zur klassischen Medizin. Das ist ein Unterschied zum rechten Lager, wo sich überwiegend einfache Bildungsschichten treffen.

Woher wissen wir das?
Wir haben keine harten repräsentativen Studien dazu, nur zwei ausführliche empirische Befragungen bei zwei Demonstrationen in Stuttgart und Konstanz, eine durchgeführt von Oliver Nachtwey von der Uni Basel mit immerhin 1150 Befragten, die andere, von der Fallzahl deutlich kleinere, durch Sebastian Koos von der Uni Konstanz. Beide weisen in die gleiche Richtung, die Basler Studie liefert zudem detaillierte Einblicke in Struktur und Denken der Querdenker.

Die Querdenker sind also gebildet, antiautoritär, rebellisch?
Die Mehrheit ja. Dazu eloquent im Disput, staatsfern und wohl eher im Westen beheimatet. Die Proteste gegen Migration hatten ihren Kern im Osten, die Querdenker haben ihn im Westen. Viele sind in Umweltorganisationen aktiv und wählten bisher eher grün.

Was fällt Ihnen bei den Protesten auf?
Sie erinnern bisweilen an Demonstrationen früherer Zeiten gegen Atomkraft oder gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf – nur dass die Teilnehmer älter sind. Man sieht dort Gestalten mit den verrücktesten Verkleidungen. Es hat was von einem Happening – wären da nicht die aggressiven rechten Einsprengsel.

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Grüne, Linke und Hippies haben in der Regel eine Berührungsangst zu Rechten mit Reichskriegsflagge. Warum hier nicht?
Nur eine Minderheit der Querdenker dürfte dem rechten Lager zuzurechnen sein. Mit den Rechten teilen sie allerdings krude Verschwörungstheorien und ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber dem „Establishment“. Manchem Querdenker könnte es wie den Bürgern gehen, die 2015 gegen den Anstieg der Zuwanderung waren, bei den etablierten Parteien aber wenig Gehör fanden und am Ende bei der AfD landeten. Ähnlich bei den Querdenkern. Auch sie finden niemanden im Parlament, der ihre kritische Sicht auf die Corona-Maßnahmen teilt. Allenfalls die FDP, aber die ist zu nah an der Wirtschaft, gegen die Querdenker ja auch deutliches Misstrauen hegen.

Sind die Querdenker die Apo, die außerparlamentarische Opposition, in Corona-Zeiten?
Natürlich sind sie eine Art Apo. 1968 standen alle damals im Bundestag vertretenen Parteien hinter den Notstandsgesetzen. Wer dagegen war, musste sich außerhalb des Parlaments organisieren, jedenfalls wenn einem das Thema sehr wichtig war: So ist das auch heute bei den Querdenkern. Und damit sprengen sie das Links-rechts-Schema. Dieser Protest hat weniger sozioökonomische Motive, sondern eher kulturelle. „Wir gegen die“, wobei das „die“ diesmal nicht „die Kapitalisten“ oder – wie bei der AfD – „die Ausländer“ sind, wohl aber das politische, wirtschaftliche und mediale Establishment.

Nur eine Minderheit der Querdenker dürfte dem rechten Lager zuzurechnen sein

Richard Hilmer

Wenn viele Querdenker aus der früher grünen Wählerschaft kommen und die Grünen regierungsnäher werden, müsste das nicht zu einer Zerreißprobe in der Partei führen? Bisher steigen die Grünen aber in der Popularität.
Über das Wahlverhalten am 26. September kann man nur spekulieren. Normalerweise ist die Wahlbereitschaft bei den Grünen hoch und auch die Treue der Wähler. Derzeit messen wir aber eine gewisse Verunsicherung bei denjenigen, die zuletzt die Grünen gewählt haben. Dafür gehen die Grünen in die Mitte und holen hier einige enttäuschte Unions- und SPD-Wähler ab. Aber möglicherweise verlieren sie bei eher esoterisch orientierten Wählern.

Hat es Sie überrascht, dass sich Dutzende von Schauspielern der Rhetorik der Querdenker mit einer großen Videoaktion anschließen?
Ein wenig schon. Sicher, pointiert sarkastische Kritik an der Corona-Politik muss erlaubt sein. Überraschend war allerdings die geballte Vehemenz und das bemerkenswerte Maß an Organisation. Etliche der Beteiligten sind ja inzwischen abgesprungen, weil sie das Gefühl hatten, dass sie vor einen Karren gespannt worden waren.

An der Internetaktion #allesdichtmachen beteiligten sich rund 50 prominente Film- und Fernsehschauspieler.
© dpa

Künstler haben sonst eher eine Affinität zu Friedens- und Klimaschutzdemos.
Ob einige der Künstler den Querdenkern nahestehen, darüber will ich nicht spekulieren. Aber das Ganze zeigt, wie durchlässig heute zuweilen politische Fronten sind. Querdenker mobilisieren Personen unterschiedlichster Couleur.

Wer wird denn durch so etwas mobilisiert?
Da sind junge Familien, die hohen Belastungen ausgesetzt sind und Sorge um die Zukunft ihrer Kinder haben, die vom Lockdown der Schulen betroffen sind. Da sind junge Menschen, die endlich mal wieder in einen Club, ins Kino oder ins Theater gehen wollen. Und Leute, die Theater machen, aber derzeit daran gehindert sind. Weiter finden sich da Esoteriker und Leute, die in der Corona-
Politik das Werk finsterer Mächte sehen. Verschwörungstheorien werden von vielen Querdenkern geteilt.

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Gegen wen richtet sich der Protest?
Vor allem gegen die Bundesregierung. Merkels Kanzlerschaft steht für eine eher emotionslose, pragmatische Politik. Nun kommt eine neue Ära. Jeder Wechsel bedeutete auch einen radikalen Stilwechsel. Diesmal dürfte vor allem Aufbruchsstimmung gefragt sein. Aus Sicht vieler Unionswähler wäre Markus Söder eine gute Verkörperung gewesen. Er kann Emotion und Leute mitreißen.
Ob Armin Laschet da jetzt der Richtige ist, bezweifeln noch viele – zumal die Grünen mit Annalena Baerbock eine Spitzenkandidatin haben, die für Aufbruch steht.

Wurden die Proteste der Querdenker von rechten Parteien und Strömungen gekapert?
Wohl kaum. Die meisten, die da auf die Straße gehen, haben eine andere Motivation. Aber diese Motive werden von keiner der etablierten Parteien aufgegriffen. Ideologisch gibt es wenig Übereinstimmung mit rechtspopulistischen Positionen. Querdenker neigen weder zur Verharmlosung des Nationalsozialismus noch zu einer restriktiven Flüchtlingspolitik oder einem traditionellen Verständnis von Familie.

Die Mehrheit der Querdenker distanziert sich eher von den Rechten. Es gibt ja sogar Protestler, die auf einer Querdenkerdemo ein Schild mit der Aufschrift „Ich bin kein Nazi“ tragen. Andererseits gilt die AfD bei vielen Querdenkern als „eine normale Partei wie andere auch“. Wohl deshalb bewerten sie es als wenig anstößig, neben Personen mit der schwarz-weiß-roten Reichskriegsflagge zu demonstrieren.

Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen stehen vor dem Reichstag, ein Teilnehmer hält eine Reichsflagge. Auf den Demonstrationen laufen häufig offen rechtsextreme Gruppierungen mit.
© dpa

Woran liegt es, dass Querdenker im Ruf stehen, rechts zu sein?
Wenn der Hippie neben dem Reichsbürger läuft, heißt es, der Hippie sei rechts, nicht andersherum. Aber Spaß beiseite: Beide verbindet, dass sie dem „Establishment“ ausgesprochen skeptisch gegenüberstehen und bei der Corona-Politik obskure Mächte am Werke sehen. Zum anderen, weil sie kaum Berührungsängste selbst zu ausgesprochen rechtsradikalen Organisationen wie den Reichsbürgern haben. Sie demonstrieren gemeinsam, aber das ist eher ein Neben- als ein Miteinander frei nach dem Motto „das Ziel heiligt die Mittel – je mehr, desto besser“.

Wer sonst noch mitläuft, ist vielen egal, Hauptsache, die „da oben“ hören uns. Und in der Tat haben die Querdenker-Demonstrationen eine bemerkenswerte Mobilisierungskraft. Die Teilnehmerzahlen bei den Demonstrationen bewegen sich oft im fünfstelligen Bereich.

Wenn die Bewegung nicht rechts ist, was ist sie dann – antidemokratisch?
Nicht unbedingt. Auf die Frage nach dem besten politischen System antwortet die übergroße Mehrheit der Corona-Skeptiker: die Demokratie. Aber sie haben eine etwas andere Vorstellung von Demokratie. Unsere Studien ergaben, dass sowohl rechte Systemgegner als auch Corona-Skeptiker eine „direkte Demokratie“ präferieren, wo die Bürger direkt entscheiden und nicht wie bei unserer repräsentativen Demokratie die gewählten Volksvertreter.

Rechte Bewegungen wollen, dass „der Volkswille“ umgesetzt wird, was immer sie darunter verstehen. Da spielen Minderheitenrechte kaum eine Rolle. Auch bei den Querdenkern schwingt etwas Antidemokratisches mit. Der Wert der körperlichen Unversehrtheit wird verabsolutiert. Kein Staat, keine gewählte Regierung habe das Recht, Menschen gegen ihren Willen zu impfen. Das ist zumindest antietatistisch. Die Neugründung der den Querdenkern nahestehenden Partei „Die Basis“ lässt allerdings hoffen, dass sie sich in den demokratischen Prozess einbinden lassen wollen.

Sollen Querdenker in Talkshows eine Bühne bekommen?
Warum denn nicht? Allerdings müssten sich die Verantwortlichen auf das Gespräch gut vorbereiten. Sie dürfen sich nicht vorführen lassen, wie das etwa Thomas Gottschalk vor Jahren im Gespräch mit dem österreichischen FPÖ-Chef Jörg Haider passierte. Ein Markus Lanz könnte das sicherlich. Solche Formen der Auseinandersetzung finden in den Medien zu wenig statt. Nicht zuletzt deshalb besteht die Gefahr, dass sich die Diskussion in die sozialen Netze und auf die Straße verlagert.

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